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  • 02. Juli 2020
  • Corona-News

Der Fall Tönnies – Wer haftet bei Nichteinhalten von Arbeitsschutzstandards bei Werkverträgen?

Mit dem Ausbruch des Coronavirus in einem Großschlachtbetrieb in Gütersloh, bei dem sich hunderte Mitarbeiter infiziert haben, ist das Thema Arbeitsschutz und die damit verbundenen Haftungsfragen bei Nichteinhaltung in aller Munde. Vor diesem Hintergrund ist die Frage, welche Maßnahmen Arbeitgeber ergreifen müssen, um ihre Mitarbeiter zu schützen und sich dabei keinem Haftungsrisiko auszusetzen, aktueller denn je.

Bei Nichteinhaltung der Arbeitsschutzstandards drohen erhebliche Schadenersatzforderungen – unabhängig vom Ursprung einer möglichen Infektion

Im Hinblick auf SARS-CoV-2 besteht ein Haftungsrisiko des Arbeitgebers immer dann, wenn er die Pflicht zum Arbeitnehmerschutz verletzt, also keine oder nicht ausreichende Maßnahmen trifft, um eine Ausbreitung oder Infizierung in seinem Betrieb zu verhindern. Wenn ein Arbeitnehmer, nachdem er im Betrieb tätig war, sich mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert und erkrankt oder sogar verstirbt, so wird gegebenenfalls ein Schadenersatz in nicht unerheblicher Höhe fällig. Der Schaden umfasst dabei Kosten, die durch die Erkrankung oder das Versterben des Arbeitnehmers entstehen, also beispielsweise Heil- und Therapiekosten, Kosten zur Milderung nicht behebbarer Dauerfolgen oder im Todesfall die Beerdigungskosten, sowie den Unterhalt der Hinterbliebenen.

Ob der unterlassene Arbeitnehmerschutz dabei auch tatsächlich Ursache für die Infektion ist, ist im Zweifel unerheblich. Sobald der erkrankte Arbeitnehmer darlegt, dass der Arbeitgeber seine Schutzpflicht verletzt hat und er nachgewiesen hat, dass ihm dadurch ein Schaden entstanden ist, ist der Arbeitgeber gezwungen, seinerseits zu belegen, dass ihn kein Verschulden trifft. Dies erweist sich unserer Erfahrung nach in der Praxis als schwierig.

 

Der SARS-CoV2-Arbeitsschutzstandard dient als Maßstab für den Arbeitnehmerschutz – Bundesländer und Kommune leiten daraus Rechtsverordnungen ab

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat am 16.04.2020 den „SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard“ veröffentlicht, einen Katalog an Handlungsempfehlungen für Arbeitgeber, um ihre Arbeitnehmer am Arbeitsplatz vor einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus zu schützen. Arbeitnehmer sollen unter anderem möglichst ausreichenden Abstand von mindestens 1,5 m zueinander halten. Dienstreisen oder Präsenzveranstaltungen wie Besprechungen sollen auf ein Minimum reduziert oder auf technischem Wege über Telefon und Videokonferenz umgesetzt werden. Arbeits- und Pausenzeiten sollen so organisiert werden, dass die Belegungsdichte in Arbeits- und Pausenräumen verringert wird.

Die Bundesregierung hat es bisher allerdings versäumt, dem erarbeiteten Arbeitsschutzstandard des BMAS auf Grundlage eines Gesetzes rechtliche Bindung zu verleihen. Allein die von den Bundesländern und den Kommunen erlassenen Rechtsverordnungen und Allgemeinverfügungen entfalten rechtliche Bindung.

Welche Maßnahmen zur Eindämmung des SARS-CoV-2 letztendlich ausreichend sind, bestimmt sich mangels eines rechtlich bindenden Katalogs nach dem Stand von Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene sowie sonstigen gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen. Quellen von Maßnahmen und wissenschaftlicher Erkenntnis sind dabei unter anderem pluralistische Arbeitsschutzausschüsse der Bundesregierung oder des zuständigen Bundesministeriums sowie Veröffentlichungen des Robert Koch-Instituts.

Der Standard wird sich wohl als Maßstab für erforderliche Schutzmaßnahmen etablieren, insbesondere, da das BMAS einen Beraterkreis „Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz zur Prävention von SARS-CoV-2“ einrichtet, um die Entwicklung der Pandemie zu verfolgen und entsprechende Anpassungen an dem Standard vorzunehmen. Gleichwohl bedeutet das Fehlen einer rechtlichen Bindung des Maßnahmenkatalogs aber auch, dass davon abgewichen werden kann, solange die alternativ getroffenen Maßnahmen gleich gut geeignet dem Gesundheitsschutz dienen. In einem mitbestimmten Unternehmen ist dabei der Betriebsrat in die Entscheidung, welche Maßnahmen umgesetzt werden sollen, einzubeziehen.

 

Der Fall Tönnies – Haftung im Werk- und Dienstvertrag

Wie im Fall Tönnies geschehen, kann es in der Praxis vorkommen, dass Unternehmen bestimmte Arbeitsschritte und Aufgaben innerhalb ihres Betriebes nicht durch ihre eigenen Arbeitnehmer erledigen lassen, sondern Drittfirmen dafür beauftragen. Die Arbeitnehmer der Drittfirma werden dann aufgrund eines Werkvertrages oder Dienstvertrages für einen anderen als ihren Arbeitgeber tätig. Es stellt sich dabei die Frage, wer von Auftraggeber- und Auftragnehmerseite welche Schutzmaßnahmen zu treffen hat und wer bei Verletzung der Schutzpflichten haftet.

Beim aktuellen Fall des Fleischverarbeitungsbetriebes aus Gütersloh haben sich einige Beschäftigte mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert, während sie – branchenüblich – nicht direkt bei dem Schlachthofbetreiber angestellt, sondern über einen geschlossenen Werkvertrag für ihren tatsächlichen Arbeitgeber, eine Fremdfirma, im Schlachthofbetrieb tätig waren. In einem solchen Fall liegt das Weisungsrecht beim eigentlichen Arbeitgeber (der Personalverleihungsfirma). Damit gehören die so beschäftigten Arbeitskräfte nicht zu dem Personenkreis, den der Schlachthofbetreiber nach dem Arbeitsschutzgesetz schützen muss. Grundsätzlich haftet zunächst also die Fremdfirma für mangelnden Arbeitnehmerschutz in dem Schlachthofbetrieb, da es sich um ihre Angestellten handelt.

Eine Haftung des Schlachthofbetreibers kann sich jedoch aus dem Dienstvertragsrecht bzw. beim Werkvertrag analog aus diesem ergeben. Sobald der Schlachthofbetreiber Räumlichkeiten, Vorrichtungen und Gerätschaften für die Erfüllung der zu erbringenden Leistung bereitzustellen hat, muss er die zur Leistung Verpflichteten vor Gefahr für Leben und Gesundheit schützen. Ob in dem Fall aus Gütersloh der Schlachthofbetreiber neben der von ihm beschäftigten Fremdfirma durch die Betroffenen in Haftung genommen werden kann, bleibt abzuwarten.

 

Unabhängig vom Anstellungsverhältnis ist es für Arbeitgeber ratsam, Schutzmaßnahmen für die Mitarbeiter zu ergreifen, die sich am SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard-Katalog des BMAS orientieren. Denn auch, wenn ein Unternehmer nicht direkter Arbeitgeber eines Beschäftigten ist, kann es zu einer Haftung aus dem Dienstvertragsrecht kommen.

Wir beraten Sie und helfen Ihnen gerne, den Arbeitsschutzstandard in Ihre Betriebsorganisation einzugliedern, um Ihrer Schutzpflicht nachzukommen. Auch im Falle einer haftungsrechtlichen Inanspruchnahme vertreten wir Sie gerne anwaltlich.

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