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  • 18. Mai 2022
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Änderung zur Vorsatzanfechtung in der Insolvenz

Schlechte Nachrichten für Insolvenzverwalter sind gute Nachrichten für Unternehmen – der BGH beschneidet die Vorsatzanfechtung in der Insolvenz 

Für Aufsehen sorgt ein Urteil des BGH zur Vorsatzanfechtung vom 06.05.2021 (IX ZR 72/20). Der BGH hatte in dem Urteil die tatbestandlichen Anforderungen für die Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO erhöht. Diese Anfechtungsvorschrift ist schon seit Jahren umstritten. Sie hat sich – vorangetrieben durch die Rechtsprechung des BGH in den letzten Jahren – zur Allzweckwaffe des Insolvenzverwalters zur Masseanreicherung entwickelt. Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Vorsatzanfechtung hatte der BGH durch Vermutungstatbestände und komplizierte Regelungen zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast ständig abgesenkt. 

Zwar konnten durch die Zunahme des Anfechtungsvolumens mehr Insolvenzverfahren eröffnet werden. Die Zeche zahlten aber die betroffenen Anfechtungsgegner, die eine doppelte Belastung tragen: Sie erleiden den Forderungsausfall und müssen einen Teil der Zahlungen zurückerstatten, die sie vor der Insolvenz noch mühsam eingetrieben hatten.  

Die Vorsatzanfechtung verlangt – der Name ist Programm – den Nachweis des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes beim Schuldner. Spiegelbildlich muss der Anfechtungsgegner (Gläubiger) diesen Vorsatz kennen. Es geht dabei um innere Gedanken und Beweggründe. Da niemand Gedanken lesen kann, muss sich der Rechtsanwender behelfen und äußere, objektiv wahrnehmbare Verhaltensweisen (=Indizien) feststellen, die auf das Innerste des Handelnden schließen lassen. Ein solches beobachtbare Verhalten ist „Zahlen trotz Zahlungsunfähigkeit“, wobei die Zahlungsunfähigkeit schlicht als der Mangel an Zahlungsmitteln definiert wird. Der BGH ging früher davon aus, das ein Schuldner, der weiß, das seine Mittel nicht ausreichen, um alle seine Gläubiger zu befriedigen (Kenntnis von seiner Zahlungsfähigkeit), immer damit rechnen muss, dass die anderen Gläubiger leer ausgehen, wenn er an einen einzelnen oder wenige Gläubiger leistet (Benachteiligung). Der Gläubiger und Anfechtungsgegner, der die Zahlungsunfähigkeit seines Schuldners kennt, muss automatisch davon ausgehen, dass es (a) andere Gläubiger gibt und (b) das diese durch die Zahlung vom Schuldner vorsätzlich benachteiligt werden. 

In seiner aktuellen Entscheidung rückt der Bundesgerichtshof nunmehr ausdrücklich davon ab, dass ein Schuldner, der seine Zahlungsunfähigkeit kenne, automatisch mit Benachteiligungsvorsatz zu Lasten der übrigen Gläubiger handele. 

Ferner hält der Bundesgerichtshof auch nicht mehr an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, dass allein von der vom Anfechtungsgegner erkannten Zahlungsunfähigkeit des Schuldners darauf geschlossen werden könne, dass dieser in der Regel auch den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners kenne. Diese bisherige Rechtsprechung bedürfe “einer neuen Ausrichtung“. 

Früher genügte selbst schon die Kenntnis der drohenden Zahlungsunfähigkeit. Diese allein ist jetzt kein ausreichendes Indiz für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz. Es bedürfe weiterer Indizien, damit Leistungen bei erkannter drohender Zahlungsunfähigkeit über § 133 InsO angefochten werden können (z.B. erhebliches Abweichen vom ordnungsgemäßen Geschäftsgang, Sondervorteile für einzelne Gläubiger). Flankiert wurde dies durch erhöhte Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Insolvenzverwalters, der neben der Zahlungsunfähigkeit zukünftig auch nachweisen müsse, warum keine begründeten Aussichten auf Beseitigung einer Zahlungsunfähigkeit bestünden.  

„Schleppende Zahlungsweise“ nicht mehr schädlich 

Das Urteil ist noch in anderen Punkten interessant. Es ging um eine Fülle von Einzelzahlungen über einen rund 18-monatigen Zeitraum. Die Zahlungen waren durchweg überfällig. Der Anfechtungsgegner mahnte daher regelmäßig. Das Zahlungsverhalten war somit „konstant schleppend“ und änderte sich bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens kaum. 

Früher war es für den Gläubiger schädlich, wenn er gegenüber seinem Schuldner zu nachgiebig war. Wenn ein Schuldner über längere Zeit nur auf Mahnungen zahlt, war das für alle Beteiligten ein anerkannt sicheres Zeichen für die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners. Die erkannte Zahlungsunfähigkeit begründete den (erkennbaren) Vorsatz. Dem Gläubiger blieb nur, die Geschäftsbeziehung abzubrechen, zu klagen und zu vollstrecken, wenn er der Vorsatzanfechtung entgehen wollte. Selbst Ratenzahlungsangebote des Schuldners waren „gefährlich“, enthalten sie doch das Eingeständnis des Schuldners, die Schuld nicht bei Fälligkeit sofort begleichen zu können. 

Daraus leitete der BGH heute ab, dass ein solches gleichbleibendes Zahlungsverhalten über die Zeit seine Bedeutung für die Annahme einer Zahlungseinstellung verliert. Die regelmäßigen Mahnungen würden daran nichts ändern und könnten keine Kenntnis des Anfechtungsgegners von einer Zahlungseinstellung begründen. Ein solches zwar säumiges, aber konstant schleppendes Zahlungsverhalten findet sich in der Praxis häufig. Führte dies früher regelmäßig zur Verurteilung des Anfechtungsgegners, kann er sich heute bei einem vergleichbaren Zahlungsverhalten mit Aussicht auf Erfolg auf die jetzt geänderte Rechtsprechung des BGH berufen. Entscheidend bleibt aber weiterhin der Einzelfall. Eine Würdigung aller übrigen Begleitumstände ist deshalb immer notwendig und bietet dem Tatrichter Spielraum für Korrekturen im Einzelfall. 

Können Unternehmer jetzt aufatmen?  

Die frühere Rechtsprechung des BGH im Bereich der Vorsatzanfechtung war zu ausufernd und erhöhte die Anfechtungsrisiken für alle Marktteilnehmer in einer Weise, die auch gutwilligen Anfechtungsgegnern nicht mehr vermittelt werden konnte. Schon geringe Abweichungen vom normalen Geschäftsgang konnten ausreichen, um einen Benachteiligungsvorsatz und die Kenntnis davon vor Gericht zu belegen.  

Die damit angestoßene Richtungsänderung hat der BGH nun gleich mit einem Bündel neuer Urteile ausgebaut und konkretisiert. Gleich drei Urteile, eines vom 10.02.2022 (IX ZR 148/19) und zwei vom 03.03.2022 (IX ZR 78/20 und IX ZR 53/19), nehmen ausdrücklich Bezug auf die Entscheidung vom 06.05.2021. 

Die jüngsten Rechtsprechungen des BGH haben nicht zu einer völligen Veränderung, aber doch zu Erleichterungen für potentielle Anfechtungsgegner geführt. Der BGH hat dabei die natürliche Beweislastverteilung wieder stärker betont, wonach der Insolvenzverwalter dem Grunde nach die Tatbestandsvoraussetzungen vortragen und im Streitfall beweisen muss. Es ist zu erwarten, dass die neue Rechtsprechung des BGH von den Untergerichten schnell umgesetzt wird und dass ein Gericht im Zweifelsfall der Anfechtung den Erfolg versagt, während vorher regelmäßig zugunsten des Insolvenzverwalters entschieden wurde. Im Ergebnis haben sich die Verteidigungsmöglichkeiten von Anfechtungsgegnern verbessert. Geschäfte mit kriselnden Unternehmen bleiben aber weiterhin mit Anfechtungsrisiken verbunden, die sorgfältig geprüft werden müssen.  

Sprechen Sie unsere Experten an. Es beraten Sie gerne Herr Rechtsanwalt Jürgen Börner, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht (Tel.: 02236-3982-652, E-Mail: juergen-boerner@ahw-unternehmerkanzlei.de) und unser Partner Herr Rechtsanwalt Kai-Jens Egerlandt, LL.M, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht. 

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